Die DDR und der Globale Süden. Zwischen "Internationaler Solidarität", wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Auslandsspionage

Die DDR und der Globale Süden. Zwischen "Internationaler Solidarität", wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Auslandsspionage

Organisatoren
Stiftung Ettersberg; Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
Ort
digital (Erfurt)
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2021 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Viktoria v. Kalm, Friedrich-Schiller-Universität, Jena

„Die DDR und der Globale Süden“, unter dieser Überschrift fand das Wissenschaftliche Tagesseminar der Stiftung Ettersberg und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen am 12. Juni 2021 statt. Im Fokus der Online-Veranstaltung standen dabei insbesondere zwei Dimensionen des Themenkomplexes: Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten der DDR in der so genannten Dritten Welt und die Wahrnehmung der bilateralen Zusammenarbeit in den Ländern vor Ort.

Die besondere Aktualität und Relevanz des Themas erläuterten zu Beginn der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, FRANZ-JOSEF SCHLICHTING (Erfurt), in seiner Begrüßung und der Vorsitzende der Stiftung Ettersberg, JÖRG GANZENMÜLLER (Weimar), in einer thematischen Einführung. So demonstrieren auf der einen Seite noch heute ehemalige mosambikanische Vertragsarbeiter der DDR in Deutschland und ihrem Heimatland für ausstehende Lohnzahlungen. Auf der anderen Seite sei vielen ehemaligen Arbeiter:innen und Schüler:innen der DDR der sogenannte Solidaritätsbetrag noch immer ein Begriff, über den das Solidaritätskomitee der DDR die ‚Entwicklungsarbeit’ der DDR maßgeblich finanzierte, wie Schlichting anführte.

Jörg Ganzenmüller präzisierte die zentrale Fragestellung im Hinblick auf die sogenannte Entwicklungsarbeit der DDR im Globalen Süden dahingehend, dass es darauf ankomme auszuloten, inwieweit die DDR als Teil des sowjetischen Imperiums einerseits ideologisch antiimperialistisch auftrat und andererseits ökonomisch stark interessengeleitet agierte – letzteres v.a. um zugleich die Anerkennung als hochentwickelte Industrienation für sich in Anspruch zu nehmen.

In seinem einführenden Vortrag bettete TOBIAS RUPPRECHT (Berlin) das Thema der Tagung in einen globalen Kontext ein. Leitgedanke der DDR und anderer sozialistischer Staaten Ost- und Ostmitteleuropas in Bezug auf die „Dritte Welt“ war der „sozialistische Internationalismus“ – verstanden als eine Globalisierung innerhalb der sozialistischen Welt. Rupprecht kritisierte die vor allem im westlichen Teil der Welt vorherrschende Vorstellung, dass es erst nach 1989 zu einer Globalisierung gekommen wäre. Vielmehr sei von zwei „Wellen“ der Globalisierung auszugehen: der ersten in den 1950er-/1960er-Jahren und der zweiten ab den 1970er-/1980er-Jahren. Dass allerdings die Entwicklungshilfe der sozialistischen Länder Europas trotz ihres antiimperialistischen Anspruchs dem westlichen Entwicklungshilfeprogramm etwa in Bezug auf den Einsatz billiger Arbeitskräfte oder in der allgemeinen wirtschaftlichen Ausbeutung der „Dritten Welt“ in nichts „nachstand“, sei ebenso Teil des Begriffs des „sozialistischen Imperialismus“, führte Rupprecht aus. Die Aktualität der sozialistischen Globalisierung verdeutlichte Rupprecht anhand Chinas und Russlands Hinwendung zu den alten „Verbündeten“ des Kalten Kriegs. China etwa beteilige in ihrer „16+1“–Initiative alle ehemaligen osteuropäischen Länder und verfolge auch auf diesem Wege seine wirtschaftsimperialistischen Ziele. Russland versuche durch seine geopolitischen Strategien beispielsweise gegenüber der Ukraine die Herrschaftslegitimität Putins zu stärken und das Land als Welt- und nicht als Regionalmacht zu präsentieren. Viktor Orbán wiederum plädiere rhetorisch für eine „Öffnung zum Osten“.

In der Diskussion stellte sich heraus, dass Konflikte und Problemfelder wie etwa Wirtschaftskrise, unterschiedliche Haltungen zur außereuropäischen Integration und Fragen nach Nation und Identität sowie der Eindruck, dass andere von der Transition in den 1990er-Jahren mehr profitiert haben könnten als man selbst, für einige Staaten die liberale westliche Form der Globalisierung heute weniger verlockend wirken ließ wie einst die als positiv wahrgenommenen Effekte der Transition von autoritärer Herrschaft hin zur liberalen Demokratie.

Im zweiten Vortrag des Tages verwies ERIC BURTON (Innsbruck) auf wichtige Aspekte des internationalen Entwicklungsprogramms der DDR in Afrika, insbesondere in Sansibar. Burton führte aus, dass die globale Entwicklungsarbeit der DDR einen zentralen Baustein in deren Streben nach internationaler diplomatischer Anerkennung darstellte. Insbesondere Sansibar sei in den Jahren von 1964 bis 1970 der zentrale „Brückenkopf“ für den Sozialismus in Afrika gewesen und sollte die Leistungsfähigkeit der DDR demonstrieren. In Afrika sollten für die DDR neue Exportmärkte und alternative Quellen für Öl, Kohle und Kaffee erschlossen werden. Sansibar wiederum profitierte in entwicklungspolitisch zentralen Bereichen wie dem Gesundheits- und Bildungswesen stark von der Zusammenarbeit mit der DDR. Spezialfachkräfte waren aufgrund von Personalmangel durch die Revolution von 1964 willkommen. In ökonomischer Hinsicht bilanzierte die DDR ihren Einsatz in Sansibar erst ab den 1970er-Jahren systematisch. Burton unterstrich, dass die Komplexität des Wirkens der DDR in Afrika und anderen Ländern des „Globalen Südens“ eine pauschale Bewertung des Entwicklungsprogramms der DDR als Erfolg oder Misserfolg verböte. Vielmehr plädierte er für einen detaillierten Blick auf die beteiligten Akteur:innen beider Seiten, die unterschiedliche Erwartungshorizonte hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit aufwiesen. In diesem Zusammenhang verwies er auch darauf, dass die DDR nicht nur versuchte ihr System dem Globalen Süden aufzuoktroyieren, sondern dass auch gezielte Anfragen aus dem Globalen Süden an die DDR gestellt wurden, in der Hoffnung die eigene Industrie zu stärken. Anders als es zum Teil im Rahmen westlicher Entwicklungszusammenarbeit praktiziert wurde, besetzten DDR-Berater Führungspositionen in den afrikanischen Ländern größtenteils mit Afrikaner:innen. Dies hatte auch den Vorteil, dass die nationale Souveränität scheinbar gewahrt wurde – gleichzeitig trug man für den Fall des Scheiterns eines Projektes in der Öffentlichkeit weniger Verantwortung. Entgegen aller antiimperialistischer Rhetorik führte die DDR viele Projekte lediglich auf Kreditbasis durch, was oftmals zu einer Verschuldung der entsprechenden Länder des Globalen Südens führte.

Insbesondere in den Ländern, in denen es nach politischen Umbrüchen ein Machtvakuum gab, versuchte die DDR Einfluss zu nehmen und die Länder für das Sozialistische Lager zu gewinnen. Dies verdeutlichte ANNA WARDA (Potsdam) in ihrem Vortrag zum MfS in der „Dritten Welt“. In mindestens 25 Ländern des Globalen Südens sei das Ministerium für Staatssicherheit der DDR aktiv gewesen, um neue Partnerländer in das eigene System zu integrieren. Dabei ging es zum einen darum, internationale Anerkennung zu erlangen. Zum anderen hoffte die SED auch auf eine Stärkung ihrer Herrschaftslegitimation im Inneren, denn jeder neugewonnene „Bruderstaat“ galt als Beleg für die Überlegenheit des sozialistischen Systems gegenüber dem „Westen“. Insgesamt bewertete Warda die Kooperation des MfS mit bestehenden Sicherheitsdiensten in den Ländern des „Globalen Südens“, die in erster Linie aus dem Auf- und Ausbau von Sicherheitsorganen und der Überwachung – nicht zuletzt der eigenen Landsleute – bestanden habe, als größtenteils misslungen. Gründe hierfür sah Warda zum einen in den strukturellen Problemen der DDR. Denn zur aufkommenden wirtschaftlichen Krise ab den 1970er-Jahren kam noch hinzu, dass die Handlungsanweisungen für das Personal im Ausland in Ost-Berlin „von oben“ beschlossen wurden, sich die Realität in den Ländern vor Ort aber ganz anders gestaltete. Hinzu gesellten sich interkulturelle Konflikte zwischen den MfS-Mitarbeitern und dem Personal vor Ort, da die Mitarbeiter des ostdeutschen Sicherheitsdienstes selten über Auslandserfahrung verfügten und überdies stark durch hierarchisches Denken geprägt waren. Auch die durchaus verbreitete Annahme der eingesetzten MfS-Mitarbeiter, der „sozialistische Bruder“ solle sich dankbar den Anweisungen durch das MfS fügen, korrelierte oftmals nicht mit den Bedarfslagen und Erwartungen der Bevölkerung vor Ort. Diese waren zudem häufig religiös geprägt, was wiederum zu einem Konflikt mit dem Staatsverständnis des MfS führte.

Auch die Kunst wurde in den Kampf für ein sozialistisches Weltsystem eingebunden. Schwer messbar erscheint hier jedoch, inwieweit diese Bemühungen tatsächlich als erfolgreich bzw. als nachhaltig bewertet werden können. Spuren hinterlassen haben Austauschprogramme, Künstlerreisen und das Errichten von Kunsthochschulen v.a. eher bei individuellen Künstler:innen als bei einer breiten Bevölkerungsschicht und im Sinne eines flächendeckenden Kunst- und Kulturaustausches. Wie CHRISTIAN SAEHRENDT (Hünibach) hervorhob, lag der Grund hierfür hauptsächlich an der mangelnden Sicherheit in den Ländern des Globalen Südens, die für die Entfaltung von Kunst und Kultur elementar ist. In Mosambik, das Mitte der 1970er-Jahre seine Unabhängigkeit von Portugal erlangte, mündeten die Kämpfte zwischen der marxistisch ausgerichteten Freiheitsbewegung „FRELIMO“, die von der Sowjetunion unterstützt wurde, und der Widerstandsbewegung „RENAMO“, die von den USA Waffenlieferungen erhielt, in einen 16-jährigen Bürgerkrieg.
Der Einfluss, der in der DDR groß angelegten Kultur-Ausstellungen aus sozialistischen Bruderländern, wie etwa die Holzschnittkunst aus Angola, war gering. Zwar bestand seitens der ostdeutschen Bevölkerung aufgrund der “Exotik“ Interesse an derlei Ausstellungen – eine nachhaltige Kooperation und eine Prägung der jeweiligen Kunst und Kultur durch die künstlerische Zusammenarbeit mit den Ländern des sozialistischen Südens fand jedoch langfristig weder in die eine noch in die andere Richtung statt.

Eine sehr viel größere Reichweite in der DDR und weit darüber hinaus erlangte dagegen die zur Ikone der kommunistischen Bewegung in den USA gewordene Philosophie-Dozentin Angela Davis. Wie KATA KRASZNAHORKAI (Zürich) ausführte, wurde Angela Davis 1970 – nicht zuletzt wegen ihrer ethnischen Herkunft und ihrer kommunistischen Überzeugung – aufgrund einer vermeintlich begangenen Straftat angeklagt. Daraufhin kam es weltweit zu einer großen Solidaritätskampagne für Menschenrechte, Gleichheit vor dem Gesetz und gegen Rassismus. Für die DDR wurde Davis zu einer strategisch überaus wichtigen Figur im Kalten Krieg. Am bekanntesten ist wohl die Aktion „1 Millionen Rosen für Angela Davis“, in deren Zuge DDR-Schulkinder Hunderte von Postkarten an Davis ins Gefängnis sendeten. Die Freilassung 1972 galt als Erfolg des kommunistischen Lagers und Davis wurde fortan als sozialistische Heldin verehrt und reiste im Zuge ihrer Freilassung durch mehrere sozialistische Länder, wie beispielsweise die DDR und die Sowjetunion, wo sie auf Massenveranstaltungen gefeiert wurde. Als widersprüchlich galt und gilt Davis’ Einsatz für Menschenrechte, politische Gefangene und gegen Rassismus in ihrem Heimatland den USA auf der einen Seite und die Instrumentalisierung ihrer Person durch die sozialistischen Staaten, unter deren Führungen etliche politische Gefangene in Gefängnissen saßen, auf der anderen Seite. Krasznahorkai bewertete Davis’ Annäherung an die sozialistischen Führer Ostmittel- und Osteuropas in erster Linie als Mittel, um diese als Unterstützer für ihren Kampf gegen Rassismus in den USA zu gewinnen. Gleichzeitig verleitete Davis ihre subjektive Wahrnehmung zu der Annahme, dass in der DDR – im Gegensatz zu den USA – eine vermeintlich größere Chancengleichheit für Frauen und ethnische Minderheiten existierte. Neben den Inhalten, die Angela Davis vertrat, scheint sich ihre Bekanntheit, in ganz besondere Weise durch das sich autonom und aktiv verbreitende Bild der Angela Davis entwickelt zu haben, führte Krasznahorkai weiter aus. Denn ihr Markenzeichen – ihre Frisur – gilt auch heute noch im Zuge der Black Live Matters-Bewegung als eines der Zeichen, die zur Aktion gegen Rassismus und Diskriminierung aufrufen und das somit an Bedeutung nur wenig eingebüßt hat.

Mit dem „Werkstattbericht“ zu einer Ausstellung über Kambodscha und die DDR, die im September 2021 in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt eröffnet werden soll, beendete JOCHEN VOIT (Erfurt) die thematische Auseinandersetzung mit der internationalen Politik der DDR. Im transnationalen Ausstellungsprojekt „Kambodscha und die DDR“ soll aus der Perspektive von Menschen aus Kambodscha und Deutschland ein Eindruck der Beziehungsgeschichte der beiden Staaten im Kalten Krieg gegeben werden. In der DDR stand offiziell der kulturelle Austausch beider Länder im Fokus – tatsächlich war Kambodscha das erste nicht-sozialistische Land, das die DDR anerkannte und diplomatische Beziehungen mit ihr einging. Unter den Überschriften Annäherungen – Gewalt – Freundschaft – Erinnerung soll die Ausstellung einen umfassenden Überblick über den Verlust von Selbstbestimmung, die Gewaltherrschaft der Roten Khmer und die Verherrlichung von Pol Pot geben.

Das Tagesseminar "Die DDR und der Globale Süden" hat gezeigt, dass die neuere historische Forschung ein differenziertes Bild über die Zusammenarbeit der DDR mit einzelnen Staaten des Globalen Südens zeichnet. Dabei steht weniger die Frage nach dem Gelingen oder Scheitern der ostdeutschen Entwicklungshilfe im Rahmen der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges im Vordergrund als vielmehr die Frage nach den Akteur:innen auf beiden Seiten, ihren Erwartungshorizonten, ihrer agency – verbunden mit einem Plädoyer für eine allgemeine Abkehr von einer eurozentrischen Forschungsperspektive.

Die Tatsache, dass das Tagesseminar der Corona-Pandemie geschuldet online stattfinden musste, hatte keine negative Auswirkung auf das Interesse der Teilnehmenden. Besonders junge Nachwuchswissenschaftler:innen beteiligten sich in anregenden Diskussionen beim Nachdenken über die Verflechtungen und die Zusammenarbeit der DDR mit den Ländern des Globalen Südens und lassen auf eine spannende Weiterentwicklung des Forschungsfeldes in den kommenden Jahren hoffen.

Konferenzübersicht:

Franz-Josef Schlichting (Erfurt) / Jörg Ganzenmüller (Weimar): Begrüßung und Einführung

Tobias Rupprecht (Berlin): Einführungsvortrag: Die sozialistischen Staaten und der Globale Süden. Vom Kalten Krieg zum Aufstieg des Populismus (1953-2020)

Eric Burton (Innsbruck): Die DDR und ihre globale Entwicklungszusammenarbeit

Anna Warda (Potsdam): Das MfS in der „Dritten Welt“

Christian Saehrendt (Hünibach): Kunst im Kampf für das Sozialistische Weltsystem. Kunstausstellungen und Kulturpolitik der DDR in Angola, Mosambik, Syrien und dem Irak

Kata Krasznahorkai (Zürich): Angela Davis und ihre Bilder: Von der Ikone der internationalen Solidarität bis Black Lives Matter

Jochen Voit (Erfurt): Kambodscha und die DDR: Ein transnationales Ausstellungsprojekt